„Optimierung der Bürgerbeteiligung“ in der Weststadt in Leer? oder wie basisdemokratische Mitbestimmung und Bürgerbeteiligung in der Stadt Leer abgebaut werden. Eine Farce in drei Akten.
In der Ratssitzung des Stadtrats vom 12. September wurde die Abschaffung des Runden
Tischs und Sanierungskommission mit dem Tagesordnungspunkt 9 abgehandelt (Sit-
zungsvorlage für die öffentliche Stadtratssitzung vom 16.08.2024, Beschluss-Nr.
2.60/XVIII/1037/24):
Die Sitzungsvorlage (s.o.) wurde diskutiert und von drei Ratsmitgliedern deutlich infrage
gestellt. Frau Engeline Kramer kritisierte, dass man mit dieser Vorlage die Arbeit eines gut
arbeitenden basisdemokratischen Gremiums ohne Not beende. Der Runde Tisch sei eine
wichtiges Verbindungsglied der Kommunikation zwischen den Bewohnern der Weststadt
und der Politik und der Verwaltung.
Verwaltung und Politik sollten souverän genug sein, die Kritik der Bürger aus dem Run-den
Tisch auszuhalten und konstruktiv damit umgehen. Das sei ihre Aufgabe.
Es stelle sich die Frage, ob es rechtlich zulässig sei, die Arbeit eines gewählten städ-
tischen Gremiums während der Legislaturperiode aufzuheben.
Und sie fragte nach, wie die Entschlussvorlage zustande gekommen sei, da man vorher in
den Fraktionen nicht darüber diskutiert habe. So hätten die Ratsmitglieder erst mit der
Einladung und mit der Übersendung der Sitzungsvorlage von dem Vorhaben erfahren.
Darauf wurde geantwortet, dass der Bürgermeister nach einer Absprache mit den drei
Fraktionsvorsitzenden der SPD, der CDU und der Grünen (Heinz-Dieter Schmidt, Ulf-
Fabian Heinrichsdorff , Bruno Schachner) die Vorlage habe erstellen lassen.
Engeline Kramer stellte den Antrag, den Tagungsordnungspunkt 9 zu verschieben, um ihn
zunächst einmal in den Fraktionen diskutieren zu können
Frau U. Stevens-Kimpel verteilte vor der Sitzung eine schriftliche Stellungnahme zu der
Beschlussvorlage, die sie während der Sitzung verlas:
„Die Verwaltung beansprucht nun, den Runden Tisch und die Sanierungskommission
aufzulösen, um ‚die Einbindung der Bürger zu erhöhen‘. Die öffentliche Begründung
lautete, dass die Bürgerbeteiligung an den Runden Tischen des Stadtteils zu gering sei und
man daher die Runden Tische auflösen solle. Die interne Begründung war die kritische
Haltung der Bürger gegen die Maßnahmen der Verwaltung. Die Fraktionsspi-tzen, die sich
öfters treffen, stimmten dem Vorschlag der Verwaltung nach Auflösung zu.
Die Verwaltung und große Teile der Politik übersehen jedoch dabei, dass sie mit diesem
Vorhaben den Einfluss von Bürgern auf die in ihrer Stadt gefällten Entscheidungen ver-
ringern, dass sie demokratische Strukturen abbauen. Die Bürger konnten in diesen Sit-
zungen Fragen stellen, Vorschläge machen, sich untereinander zu Problemen und Lö-
sungen austauschen, Vorschläge für Themen der Sitzungen machen. Die Runden Tische
und die Sanierungskommission waren vorbildlich für eine Beteiligung von Bürgern an ihrer
Stadt. Der Abbau widerspricht dem Konzept „Soziale Weststadt“.
Gegen den Abbau der Sanierungskommission und der Runden Tische spricht:
1. Die Mitglieder der Sanierungskommission sowie die Kommissionsleitenden sind
gewählte Bürger, die nicht damit rechnen konnten auf so eine Weise (ohne Infor-
mation durch die Verwaltung und Diskussion) abgesägt zu werden.
2. 2. Die Sitzungsleitende [der Sanierungskommission] hat das Gefühl, dass dieses
Vorgehen politisch motiviert ist.
3. 3. In einer Fraktionssitzung wurde mitgeteilt, dass dieses Vorhaben von allen
Fraktionsspitzen gebilligt worden sei. Zu fragen ist nun, welcher Demokratiebe-griff
liegt einem solchen informellen, die Entscheidungen der Stadtratsmitglieder
vorbereitenden Gremium zugrunde, dass die Stadtentwicklung zu präformieren
sucht.
4. In der Begründung für diesen Abbau von demokratischen Rechten der Bürger
wurde behauptet, dass durch den Wegfall des Runden Tisches und der
Sanierungskommission unberechtigte Kritik von Bürgervertretern und Infrage-
stellungen von Verwaltungspraxis vermieden werde. In der Kommissionssitzung
hatte der Bürgermeister dann auch einen der kritischen Bürgervertreter stark
kritisiert und dessen Äußerungen zurückgewiesen.
5. Abbau von Kritik führt zu Stillstand und zur Entmündigung, Resignation sowie
Politikverdrossenheit der Bürger.
Die Bürger der Weststadt stellten Fragen an die Verwaltung, suchten Alternativen,
machten Vorschläge an die Verwaltung, zeigten ihre Betroffenheit. Nur durch einen
Dialog zwischen der Verwaltung, dem Bürgermeister, der Politik und vor allem den
Bürgern können Alternativen erarbeitet werden, die für die Bürger nachvollziehbar
sind und deren Kosten und Folgen sie zu tragen haben werden. Diese Funktion
haben der Runde Tisch und die Sanierungskommission bisher erfolgreich
wahrgenommen. Die Bürger wissen, dass die Entscheidungen nicht von ihnen
getroffen werden, aber sie wollen mitarbeiten an der Entwicklung ihrer Stadt.“
Im Anschluss an die Diskussion wurde der Antrag auf Verschiebung des Tagesordnungs-
punkts von den Ratsmitgliedern mehrheitlich abgelehnt. Dem Beschlussvorschlag des
Bürgermeisters wurde anschließend mit dem Stimmen der SPD und der CDU mehrheit-
lich zugestimmt.
Der Beschlussvorschlag lautete:
„Es wird beschlossen, dass
1. die Beteiligung der Betroffenen und der Öffentlichkeit an der Umsetzung von Maßnah-
men im Sanierungsgebiet Leer-Weststadt künftig als maßnahmebezogene Beteiligung
(direkte Einladung Betroffener, breite Information über den Newsletter der Sanierung)
erfolgt,
2. Sitzungen des Runden Tisches und der Sanierungskommission künftig nicht mehr
stattfinden und
3. über die Ergebnisse der maßnahmebezogenen Beteiligung der zuständige Fachaus-
schuss informiert wird, der über das jeweilige Thema weitergehend berät.“
Mit der Annahme des Beschlussvorschlags und der damit einhergehenden Abschaffung
des Runden Tischs und der Sanierungskommission verzichtet die Stadt Leer auf ein bei-
spielgebendes und wichtiges Instrument der Bürgerbeteiligung. Wenn in Zukunft Stadt
und Sanierungsmanagement zur Bürgerbeteiligung einladen, werden schon Planungs-
leistungen erfolgt und Fakten geschaffen worden sein. Eine gemeinsame Vorbereitung
oder anschließende Bewertung der Maßnahmen durch die Bürger am Runden Tisch wird
nicht mehr stattfinden.
Paul Weßels