„Optimierung der Bürgerbeteiligung“ in der Weststadt in Leer? – oder wie basisdemokratische Mitbestimmung und Bürgerbeteiligung in der Stadt Leer abgebaut werden. Eine Farce in drei Akten.
Bislang hat es seit 2017 in der Weststadt kaum mehr als acht Veranstaltungen zur maß-
nahmebezogenen Bürgerbeteiligung gegeben, die z. B. als Straßenbegehungen oder als
Anliegerversammlungen ohnehin eher Pflichtcharakter haben. Währenddessen hat der
Runde Tisch etwa 40mal getagt hat und seine aktiven Mitglieder für die Bevölkerung der
Weststadt ständig ansprechbar waren. Wie sollte eine von der Bauverwaltung gesteu-
erte, maßmahmebezogene Bürgerbeteiligung diese Intensität aufwiegen?
In einer ersten Reaktion hat Paul Weßels am 10. September einen offenen Brief zur „Auf-
hebung der „Bürgerbeteiligung von unten“ im Sanierungsgebiet Leer-Weststadt durch
Auflösung des Runden Tisches“ an den Bürgermeister Claus Peter Horst, die Bauverwal-
tung der Stadt Leer, die Fraktionsvorsitzenden und die Ostfriesen Zeitung gesandt:
„[…] Der Runde Tisch hat sich, seitdem es ihn gibt, als Instrument stetiger, aktiver und
engagierter Bürgerbeteiligung bewährt, ein Ort der praktischen und kritisch-produktiven
und manchmal für die Verantwortlichen auch unbequemen Begleitung der Planungen im
Sanierungsvorhaben.
Deshalb muss ich Protest einlegen gegen den Text der Sitzungsvorlage und das mit dem
Beschlussvorschlag formulierte Vorhaben, mit der heutigen Sitzung des Ausschusses für
Stadtentwicklung den Runden Tisch ersatzlos aufzulösen. In der Vorlage wird der Ein-
druck erweckt, Bürgerbeteiligung und Engagement hätten so stark nachgelassen, dass
eine Fortsetzung des Runden Tischs nicht mehr vertretbar sei. Tatsächlich ist aber durch
und mit dem Runden Tisch eine dauerhafte aktive und aktivierende Bürgerbeteiligung im
Quartier zu verzeichnen, die weit über das übliche Maß hinausgeht.
Auch in den letzten Jahren war bei den Sitzungen des Runden Tischs eine gute Beteili-gung
eher die Regel. Das ist ein beachtenswertes Ergebnis, da es oftmals recht um kom-plexe
verwaltungs- und bautechnische Inhalte geht. Und bei besonderen Themen war das
Engagement noch deutlich höher. Gerade die letzten Aktionen wie die Begehung der
Straßen Königskamp und Ohlthaverstraße oder die drei Anliegerversammlungen Toru-
mer, Wynhamer, Enno-Ludwig- und Dollartstraße zeigen, wie wichtig und effektiv eine
Begleitung solcher Treffen durch den Runden Tisch gewesen ist. Wenn der Runde Tisch
aufgelöst wird, entzieht man den Bürgern des Quartiers ein sehr niedrigschwelliges An-
gebot, sich immer dann in die Diskussion einzubringen, wenn es um für sie dringliche
Angelegenheiten geht.
Mit der Aufnahme des Sanierungsgebiets "Leer-Weststadt" in das bundesweite Förder-
programm "Soziale Stadt / Sozialer Zusammenhalt" ist auch das Ziel formuliert worden,
das Stadtquartier erfolgreich und nachhaltig lebenswerter und attraktiver zu gestalten
und dabei möglichst viele Menschen aus dem Quartier einzubinden. Das kann nicht
durch städtische Bürgerinformationsveranstaltungen, hierarchische Strukturen und
„Politik von oben“ erreicht werden.
Der Runde Tisch hat dagegen ein über das übliche Maß hinausgehendes bürgerliches
Engagement von unten ermöglicht. Daraus ist eine aktive und kritische Mitgestaltung im
Quartier und eine neue Identifikation mit dem Stadtteil erwachsen. Aus dem Runden
Tisch sind viele private Initiativen entstanden. Der Runde Tisch hat von Beginn an die
Gemeinwesenarbeit stark unterstützt und sich auch bei der Verteilung der Mittel aus dem
Verfügungsfonds eingebracht. Mit dem Runden Tisch ist in der gesamten Weststadt ein
eigenständiges Stadtteilleben aufgeblüht, das sich zum Beispiel in Straßenfesten,
Spielkreisen, Spielplatzinitiativen oder dem Entstehen von Vereinen manifestiert.
Damit ist ein Entwicklungsprozess im Stadtteil in Gang gesetzt worden, der dem Gebiet
eine neue eigene Identität im Rahmen der Stadt Leer gegeben hat. Gerade durch die
nachhaltige Verbesserung des sozialen Zusammenhalts mit der aktiven Unterstützung
des Runden Tischs ist also ganz im Sinne der Zielformulierung der „Sozialen Stadt“ auch
der Anstoß zur Entstehung eines lebensfähigen Quartiers mit positiver Zukunftsperspek-
tive gegeben worden.
Vor diesem Hintergrund klingt der Wortlaut des Tagesordnungspunkts „Optimierung der
Bürgerbeteiligung im Sanierungsgebiet Leer-Weststadt“ fast euphemistisch. Eine städ-
tische Verwaltung sollte souverän und selbstbewusst genug sein, ein manchmal kriti-
sches und unbequemes Gremium wie den Runden Tisch nicht nur zu ertragen, sondern
auch die positiven Anstöße, die daraus hervorgehen, auf- und mitunter auch anzuneh-
men.
Das Sanierungsgebiet Weststadt wird noch mindesten zehn Jahr fortbestehen. Nicht nur
für mich, sondern auch für viele andere Bürger des Quartiers ist der Runde Tisch ein
wesentlicher und auch für die Zukunft des Quartiers unverzichtbarer Bestandteil. Eine
Aufhebung dieses Instruments der Teilhabe von unten wäre aus der Sicht der Bürger der
Weststadt ein großer Fehler!“
Ausgehend von diesem Schreiben hat der Journalist Jonas Bothe in der Ostfriesen Zei-
tung vom 12. September auf die drohende Aufhebung der Bürgerbeteiligung in der West-
stadt aufmerksam gemacht (https://is.gd/qawK7d).
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